Selbstbewusstein-Was ist das?
Selbstbewusstsein steht ziemlich hoch im Kurs. Immer wieder höre ich Menschen sagen, dass sie gerne mehr davon hätten. Aber was bedeutet es überhaupt selbstbewusst zu sein? Oft werden mir Menschen als besonders selbstbewusst beschrieben, die sehr sicher auftreten, überhaupt kein Problem damit haben, im Mittelpunkt zu stehen und immer und überall offen ihre Meinung sagen. Schaue ich mich im Netz um, treffe ich auf Ähnliches . Auf einem Karriereportal wird mir Selbstbewusstsein zum Beispiel als tiefes Überzeugtsein von sich selbst, als Vertrauen in die eigene Kompetenz und in den eigenen Wert verkauft. Alles schön und gut – aber ich glaube hier werden ganz unterschiedliche Dinge in einen Topf geworfen, die sicher miteinander zu tun haben, aber noch lange nicht das Gleiche sind.
Selbstbewusstsein vs. Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl
Zugegeben, es gibt eine ganze Menge an Begriffen, die das Wörtchen „Selbst“ enthalten: Selbstwert, Selbstvertrauen, Selbstsicherheit, Selbstfürsorge, Selbstliebe und und und …
Da kann man schon einmal durcheinandergeraten.
Im Beispiel von dem Karrierportal geht es wohl eher um das Selbstvertrauen und das Selbstwertgefühl.
Dabei ist das Selbstvertrauen das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen. Die Überzeugung selbst mit herausfordernden und ungewohnten Situationen zurechtzukommen speist sich aus positiven Erfahrungen in der Vergangenheit. Wenn ich weiß, dass ich frühere Anforderungen bewältigt habe, kann ich mich darauf verlassen, dass ich auch mit dem klarkommen werde, was mich im Moment oder in der Zukunft herausfordert.
Der Selbstwert dagegen ist der Wert, den sich eine Person (anhand bestimmter Bewertungsregeln) selbst zuschreibt. Dabei kann im besten Falle so etwas herauskommen wie: “Ich bin zutiefst überzeugt davon, dass ich ein wertvoller Mensch bin und im schlechtesten Fall “ Ich bin ein Nichts, ein (e) totale(r) Versager(in).“
Selbstbewusstsein im wahrsten Wortsinne
Ich möchte den Begriff Selbstbewusstsein ganz ernst nehmen und ihn im wahrsten Sinne des Wortes verstehen. Wenn ich mir meiner selbst bewusst bin, dann bedeutet das in erster Linie, dass ich mich wirklich gut kenne. Nicht durch und durch - das wäre utopisch-aber eben ziemlich gut. Ich weiß dann genau, wer ich bin und was mich ausmacht: was ich gut kann und was mir Freude bereitet. Ich weiß, was ich brauche, damit es mir gut geht und bin gut im Kontakt mit meinen Gefühlen. Ich kenne meine Ressourcen... und meine Grenzen.
In diesem Sinne heißt Selbstbewusstsein eben nicht unbedingt, dass ich völlig von mir überzeugt bin, nach außen stark und überzeugend auftrete (obwohl es das natürlich nicht ausschließt). Wenn ich Selbstbewusstsein in diesem Sinne verstehe, könnte eine Person, die von sich sagt:“ Es fällt mir wahnsinnig schwer, vor einer Gruppe Menschen zu sprechen.“ durchaus als selbst-bewusst gelten.
Warum wir oft so wenig Selbstbewusstsein haben
Ein gesundes Selbstbewusstsein kann sich entwickeln, wenn wir in einer Umgebung aufwachsen, in der unsere Gefühle sein dürfen und nicht mit einem „Nun stell dich mal nicht so an! Oder “Ist doch nicht so schlimm!“ kleingeredet werden. In der unsere Bedürfnisse, sicher nicht immer alle und sofort erfüllt werden müssen, aber auf jeden Fall gehört und ernstgenommen werden.
Ein gutes Bewusstsein für uns selbst entwickeln wir auch, wenn wir uns möglichst oft in den unterschiedlichsten Situationen ausprobieren und dabei unsere Fähigkeiten aber auch unsere Grenzen entdecken können.
Menschen wachsen unter sehr unterschiedlichen Bedingungen auf. Die einen haben einen besseren Start, die anderen einen etwas holprigen. Das gilt für viele Bereiche und auch für den des Selbstbewusstseins.
Und doch betrifft das Thema uns alle irgendwie -ganz egal wie gut oder schlecht unsere Starbedingungen waren. Wir alle haben Eltern, die auch nur Menschen und damit eben begrenzt waren. Ich möchte nicht wissen, wie oft ich meine eigenen Kinder, mit einem „Ist doch nicht so schlimm“ abgewimmelt habe, statt ihre Gefühle und Bedürfnisse in einer bestimmten Situation ernst zu nehmen.
Niemand ist eine Insel. Wir alle sind eingebunden in die Gemeinschaft. Wir bewegen uns neben der Familie in der Schule, in Vereinen, am Arbeitsplatz. Alles samt Umgebungen, in denen oft genug erwartet wird, dass wir uns einfügen und funktionieren. Dass „der Laden läuft“ hat oberste Priorität. Befindlichkeiten Einzelner interessieren da wenig. Persönliche Fähigkeiten werden nur dann gefördert oder gewürdigt, wenn es in den jeweiligen Rahmen passt. Unsere Grenzen werden oft nicht geachtet. Ganz im Gegenteil: häufig wird einfach vorausgesetzt, dass sie wir sie klaglos überschreiten.
Kein Wunder also, dass wir alle irgendwie (mehr oder weniger) in der Gefahr stehen, uns immer weiter von uns selbst zu entfernen
-mit all den negativen Konsequenzen, die das nach sich ziehen kann…
Wie kann ich (wieder) selbstbewusster werden?
Die gute Nachricht ist: Es gibt immer die Möglichkeit für einen Richtungswechsel!
Das Einzige, was Sie brauchen, ist die Bereitschaft etwas Zeit zu investieren und sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Einen kleinen Fahrplan (der nur ein Anfang ist und keinesfalls Anspruch auf Vollständigkeit erhebt) zu mehr Selbst-Bewusstsein habe ich für Sie zusammengestellt.
Meine Bedürfnisse-Wissen, was ich brauche
Es gibt eine ganze Menge unterschiedlicher Bedürfnistheorien. Eine, mit der ich gerne in meinen Coachings arbeite ist die aus der Gewaltfreien Kommunikation.
Hier werden Bedürfnisse als universelle Lebensmotive verstanden. Ein Motiv ist in der Psychologie eine Art Antrieb, etwas, das uns motiviert zu handeln. Alles was wir denken, fühlen und tun hat mit einem Bedürfnis zu tun: ob wir lesen, joggen, essen, uns mit jemandem verabreden, streiten… all das dient der Erfüllung von Bedürfnissen.
Welche Bedürfnisse gibt es?
- Nahrung (essen und trinken)
- Sicherheit/Schutz/Vertrauen
- Hilfe/Unterstützung
- Gesundheit/Kraft
- Verbundenheit, Liebe, Freundschaft
- Ruhe
- Erholung/ Entspannung
- Rücksicht
- Wertschätzung /Anerkennung
- Bewegung
- Spiel/Spaß/Leichtigkeit
Alle Menschen (egal ob alt oder jung, ob in Afrika oder der Arktis) haben diese Bedürfnisse. Da gibt es ersteinmal keinen Unterschied. Jeder Mensch auf dieser Welt braucht die oben genannten Dinge, um sich gut entwickeln zu können und gesund zu bleiben. Wir alle müssen essen, trinken und schlafen, brauchen Menschen mit denen wir uns verbunden fühlen oder Bewegung.
Worin wir uns allerdings unterscheiden, ist die Tatsache, wie bedeutsam die einzelnen Bedürfnisse für uns persönlich sind. Während für den einem Menschen Bewegung ganz oben auf der Bedürfnishitliste steht, verbringt ein anderer seine Zeit lieber lesend auf dem Sofa. Während es für die eine unendlich wichtig ist, möglichst oft mit anderen Menschen in Kontakt zu sein, braucht die andere viel Ruhe und Zeit für sich allein.
Was sind Ihre Bedürfnisfavoriten? Versuchen Sie einmal die oben genannte Liste für sich in eine Rangreihe zu bringen, beginnend mit dem wichtigsten.
Gefühle-Warum sie so wichtig für uns sind
Vielen Menschen fällt es schwer, eigene Gefühle wahrzunehmen. Die Sache mit den Gefühlen behagt Ihnen irgendwie nicht. Gefühle zu zeigen, befürchten sie, mache angreifbar. In manchen Kreisen und Situationen gilt es als Zeichen von Schwäche oder schlicht als unangebracht, sich emotional zu zeigen.
Natürlich können uns gerade negative Gefühle ganz schön zu schaffen machen. Niemand ist gerne traurig, eifersüchtig oder ärgerlich. Diese Gefühle sind unangenehm und anstrengend auszuhalten. Was wir nicht mögen, versuchen wir zu vermeiden und so werden wir oft zu wirklich guten Gefühls-Verdränger:innen…. und verlieren mit der Zeit immer mehr den Zugang zu einem Teil von uns, der eigentlich eine wichtige Funktion erfüllt.
So möchte Angst uns warnen und vor Gefahr schützen. Neid kann uns ins Nachdenken darüber bringen, ob uns etwas in unserem Leben fehlt, für das es sich lohnen würde, sich einzusetzen. Wut kann uns aus der Passivität ins Handeln bringen...
Im Zusammenhang mit den Bedürfnissen im Sinne der Gewaltfreien Kommunikation (s.o.) sind Gefühle wichtige Hinweisgeber:
Sie zeigen an, wie es um die Erfüllung unserer Bedürfnisse bestellt ist. Hier gilt die simple Formel:
- "negative" Gefühle= eines oder mehrere wichtige Bedürfnisse unerfüllt -> Handlungsbedarf!
- positive Gefühle= Bedürfnis(se) erfüllt-> alles kann (erstmal) bleiben wie es ist
Wieder in Kontakt zu den eigenen Gefühlen kommen
Eine Möglichkeit sich Ihrer Gefühle wieder bewusster zu werden ist es, im Laufe des Tages immer mal wieder kurz innezuhalten und sich zu fragen: „Wie geht es mir eigentlich gerade?“ Wenn es Ihnen schwerfällt, sehr differenziert zu benennen, welches Gefühl Sie genau empfinden, versuchen Sie erst einmal allgemeiner wahrzunehmen: „Fühle ich mich gut, nicht so gut oder vielleicht irgendetwas dazwischen?“.
Eine andere Möglichkeit ist es, sich am Abend Zeit für einen kurzen Tagesrückblick zu nehmen.
Hier können Sie die Stationen Ihres Tages einfach noch einmal Revue passieren lassen und dann auch hier kurz überlegen, wie es Ihnen jeweils ging: Wie war das, als ich auf dem Weg zur Arbeit eine halbe Stunde im Stau stand? Wie habe ich mich gefühlt, während ich mit den Kolleg:innen die Mittagspause verbracht habe? Was hat es in mir ausgelöst, als der Chef mir noch einen Arbeitsauftrag auf den Tisch gelegt hat?
Wenn Sie den Kontakt zu Ihren Gefühlen ein bisschen verloren haben, wird Ihnen diese Reflexion zu Beginn vielleicht nicht so leicht von der Hand gehen. Aber bleiben sie dran: Mit der Zeit wird es leichter und es lohnt sich wirklich!
Die eigenen Ressourcen entdecken
Im Wort Ressource steckt das französische „Source“, was übersetzt Quelle bedeutet. Im Psychologischen oder therapeutischen Sinne ist eine Ressource all das, was ein Mensch an Positivem oder Unterstützendem mitbringt. Das können Persönlichkeitseigenschaften sein, wie eine gute Auffassungsgabe, Empathie oder Verlässlichkeit, aber auch erworbene Fertigkeiten wie Fachwissen in einem bestimmten Bereich oder handwerkliches Können.
Genauso gehören materielle Sicherheiten dazu, wie ein festes Einkommen oder eine eigene Wohnung. Auch der Kontakt zu anderen Menschen kann eine Ressource sein. Menschen zu haben, mit denen man gerne Zeit verbringt, die einen nehmen, wie man ist, denen man vertrauen und auf deren Hilfe man zählen kann, sind eine unschätzbare Kraftquelle. Hobbys und Interessen können weitere Ressourcen sein.
Ihr persönlicher Ressourcen-Pool
Welche Ihrer Eigenschaften sind hilfreich?
Falls Ihnen auf Anhieb nicht viel einfällt, überlegen Sie einmal, was Ihnen oft von anderen Menschen positiv rückgemeldet wird. Vielleicht hören Sie oft , dass Sie besonders ermutigend sind oder ganz köstliche Torten backen können.
Wenn Sie auch so nicht weiterkommen, wählen Sie den direkten Weg und fragen Sie eine Ihnen nahestehende Person, wie sie Sie einschätzt.
Es kann auch eine gute Idee sein, sich an Situationen im bisherigen Leben zu erinnern, in denen Sie erfolgreich waren. Was genau ist Ihnen da gut gelungen und vor allem, wie haben Sie das geschafft? Sprich: Welche Ihrer Fähigkeiten und Eigenschaften haben Ihnen geholfen erfolgreich zu sein?
Gibt es materielle Ressourcen für die Sie dankbar sind?
Wer sind die Menschen, auf die Sie sich verlassen können und mit denen sie gerne Zeit verbringen?
Haben Sie Hobbys oder interessieren Sie sich für ein bestimmtes Themengebiet? Gibt es irgendeine Beschäftigung, in die Sie so eintauchen können, dass Sie darüber alles andere darüber vergessen können?
Meine Träume und Ziele-Wo möchte ich hin?
Vielleicht sind Sie wie ich und haben eine lange Liste von Zielen, die Sie gerne erreichen oder Träumen, die Sie gerne wahr werden lassen möchten. Vielleicht gehören Sie aber auch zu denjenigen Menschen, die bisher so sehr damit beschäftigt waren zu funktionieren, dass zum Träumen und Pläneschmieden einfach keine Zeit mehr übrig war.
Versuchen Sie einmal sich zu überlegen: „Was möchte ich gerne in den unterschiedlichen Bereichen meines Lebens erreichen? (beruflich, privat, …)
Gibt es Träume, die unter all den Verpflichtungen des Alltags verschüttet liegen und nur darauf warten wieder geborgen zu werden?
Ziele zu haben kann unheimlich motivierend sein! Sie sind wie eine Art Kompass, der uns anzeigt, in welche Richtung wir uns auf den Weg machen sollten.
Versöhnt mit den eigenen Grenzen leben
Ich habe das Gefühl, Grenzen sind in unserer Leistungsgesellschaft etwas, das irgendwie nicht sein darf. Immer höher, weiter, schneller, besser. Alles geht.Immer.Irgendwie….und wenn nicht, dann wird es eben passend gemacht. Das ist eine Haltung, die an der Realität vorbei geht. Natürlich glaube ich, dass wir in manchen Situationen über unsere Grenzen hinauswachsen und sie erweitern können. Aber! In einem gewissen Rahmen! Jede (r) von uns bringt bestimmte Eigenschaften und Persönlichkeitsmerkmale mit, die großartige Möglichkeiten eröffnen, aber eben auch Grenzen mit sich bringen. Ein Mensch der introvertiert ist, wird sich vermutlich immer etwas schwer damit tun, in der Öffentlichkeit vor einer Gruppe von Menschen zu sprechen. Natürlich kann er oder sie in diesem Bereich dazu lernen und Fertigkeiten entwickeln, die die Sache einfacher machen. Wahrscheinlich wird diese Situation aber niemals seine oder ihre Lieblingssituation werden. Jemand der viel Struktur braucht, wird sich in einem Job nicht besonders wohl fühlen, der viel Entscheidungsfreiheit und jedem Tag neuen Herausforderungen mit sich bringt
Unsere Grenzen zu kennen ist enorm hilfreich. Sie geben uns einen Hinweis darauf, in welchen Umgebungen, Situationen und mit welchen Menschen wir besonders gut aufgehoben sind und uns bestmöglich entfalten können. Sie bewahren uns vor Stress und Schaden. Wenn wir unsere Grenzen so sehen, können wir uns mit ihnen versöhnen. Wenn wir sie achten, statt bitter gegen sie zu ankämpfen, werden wir mit deutlich mehr Energie und Wohlbefinden belohnt.
Übrigens gibt es zum Thema Grenzen /Begrenztsein ein schönes YouTube -Video von Eckard von Hirschhausen
https://www.youtube.com/watch?v=sY539oAsTb0
Was es bringt, selbstbewusster zu sein
Selbstbewusstsein ist etwas, von dem wir wirklich nie genug haben können. Die oben genannten Reflexionsanregungen sind keineswegs erschöpfend und gerade mal ein Anfang, sich selbst (wieder) ein Stückchen näher zu kommen. Letztendlich bleibt es aber eine Lebensaufgabe, achtsam und in guter Verbindung zu uns selbst zu bleiben.
Mit einem guten Selbstbewusstsein ist eine wichtige Basis gelegt. Wenn ich weiß, was ich fühle und brauche, wenn ich meine Ressourcen, Ziele und Grenzen kenne, kann ich in einem zweiten Schritt überlegen, wie ich in Einklang mit diesem Wissen leben kann. Lediglich zu wissen, welche Ressourcen ich in meinem Leben habe, bringt mich ja noch nicht weiter. Hilfreich werden sie erst dann, wenn ich sie gut für mich nutze. Mir meiner Grenzen bewusst zu sein, ist nur dann von Bedeutung, wenn ich sie ernst nehme und sie schütze. Meine Bedürfnisse möchten nicht nur wahrgenommen, sondern auch erfüllt werden...
Ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein ist also die Grundlage dafür, dass ich gut für mich sorgen kann.
Aber nicht nur das: Es kann auch ein erster Schritt dahin sein, mir selbst zu vertrauen, mich zu akzeptieren und zu wertschätzen.
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